Markscheider Kunst - Traunstein, Cafè Festung - 09.05.2007
Latino-Jazz auf Russisch - Geht’s denn noch schräger??
Brösels Meister Röhrig hat es in den 80-er Jahren schon prophezeit: „Werner, die Russen kommen!" Jetzt haben sie die Traunsteiner Festung im Sturm erobert – gewaltlos. Ihre Waffen?? Gute Laune, sympathisches Auftreten, Humor, feine Ironie und ausgezeichnete Musik. Die Geburtstagsfeier einer Freundin im Cafe „Festung" war der Anlass für einen der genialsten Zufallsvolltreffer in Sachen „unbekannte Bands", der mir in den letzten Jahren untergekommen ist.
Markscheider Kunst – das sind neun junge Russen aus St. Petersburg, die lateinamerikanische Musik machen, einen deutschen Bandnamen haben und ihre Konversation in englischer Spreche gestalten. Sehr bunt also. Eigentlich sind sie ein Oktett. Auf Tour greift aber auch Manager Denis Rachkov mal in die Saiten. Ihren Bandnamen erklärt er so: „Wir sind fast alle Bergbauingenieure, Markscheider oder Geophysiker. Sergey ist sogar ein richtiger Markscheider (gewissermassen eine Art „Bergnotar"). Das ist eine große Kunst. Was wir machen ist auch Kunst."
Okay, der Grund für den Bandnamen ist damit also klar. Für den afroamerikanischen Einfluss auf die St. Petersburger sorgte Seraphim Makangila, ein kongolesischer Mitstudent und ehemaliges Bandmitglied, das heute nur noch gelegentlich als Gast auftritt, ansonsten aber auf Solopfaden wandelt. Er brachte Soukous und Reggae. Dazu kam mit der Zeit noch Salsa, Rumba, Latin, Jazz, Fusion und der ursprünglich jamaikanische Ska.
Was die Neun zu bieten haben ist ein spritziges, einfallsreiches Crossover zwischen Russland, Afrika, Brasilien und den Antillen in hoher Perfektion. Vergangene politische Verflechtungen haben also auch musikalische Spuren hinterlassen. Gesungen wird in russisch mit spanischen „Zwischentönen", die Interaktion mit dem Publikum betreibt Sergey hauptsächlich in Englisch, spricht aber auch einige Sätze deutsch. Humorvolle Äußerungen, Scherze untereinander und mit uns, Mimik, Gestik – es herrscht eine sehr relaxte und lustige Atmosphäre – Partystimmung. Die freundliche Aufforderung zum Tanzen doch etwas weiter nach vorne zu kommen nehmen sich die Leute gerne zu Herzen und so geht es weiter mit Rumba, Salsa und fröhlichem Ska-Gehopse.
Wer die Verhältnisse in der „Festung" kennt, weiss, dass bereits eine vierköpfige Kombo so ihre Platzprobleme hat. Erst recht ein Nontett. Schlagzeuger Sergey "Egor" Egorov und Conga-Spieler Kirill Ipatov müssen mit der Häfte ihrer Menagerie auskommen. Den beiden Gitarristen Vladimir "DJ Nguba" Matushkin und Denis Rachkov dürften die unmittelbar hinter ihnen an der Wand platzierten Bläser mehrmals ordentlich die Trommelfelle poliert haben. Die Blechbläser Anton Vishnyakov (Posaune), Aleksandr Pliusnin (Trompete) und Ivan Neklyudov (Saxofone) heizen als Trio gewaltig ein und erzeugen eine gigantische Wirkung für die manche Big Band zehn Mann benötigt.
Mit ihrem lateinamerikanischen Hüftwackler „Kvasa Kvasa" haben sie es sogar auf die Russendisko-Hit-Sampler geschafft. Die kubanische Guajira „Kokeiro" ist in ihrer russischen Heimat ein Radio-Hit und in Deutschland auf dem deutschen Sampler „Russensoul" gelandet. Gesungen in Russisch, durchsetzt mit spanischen Hauptwörtern a la Senorita, Buenas Noches und Tequila (usw). „Jamaica" ist wiederum lupenreiner Ska, bei dem kein Bein ruhig bleibt. Zwei Stunden fantastische Musik, lächelnde Gesichter, Feierlaune, Tanz, Spaß und Party pur. Was will man mehr?
Die Zugabe „Chao-Chao" kommt in der Basis als Reggae an, mutiert aber durch die leichtfüßige Bläsersektion phasenweise in eine Art Big Band im Stile berühmten Hugo Strasser-Tanzorchestesters, was den kleinen Club erst recht zum Kochen bringt. Jaja, ihr Humor und feine Ironie nimmt nicht nur Bezug auf ihre Heimat und lateinamerikanische Querverbindungen.
Markscheider Kunst sind gewissermaßen die russische Antwort auf Madness und Ruben Conzales, Ibrahim Ferrer und den Buena Vista Social Club – nur 60 Jahre jünger. Eine Herbsttour ist laut den Musikern bereits in Planung. Wäre schön wenn sie ihr Weg auch wieder in den deutschen Süden führen würde.
Markscheider Kunst@myspace.com