Wenn dem Octopus Flügel wachsen

20.06.2011 | Konzerte | Amplifier - München, Feierwerk - Teil 1 · Amplifier - München, Feierwerk - Teil 2 · A Kind of Flip-Book for Mr. M..... | 1 Kommentar

Amplifier - München, Feierwerk (Kranhalle) - 06.06.2011

Dir Briten belegen die Kranhalle mit einem magischen Zauber

Eine Live-Review eines Amplifier-Konzertes ist der Versuch eine Magie in Worte zu fassen, die man eigentlich nicht beschreiben kann...

Es ist einer jener seltenen Abende an denen alles, aber auch wirklich alles passt. Entspannte Anreise über die Autobahn (ja, auch das kommt auf der A8 manchmal vor) im sanften Licht eines lauen Frühsommerabends, pünktliches Treffen mit lieben Freunden auf das „erste Bier" des Abends und heute soll in der Münchner Kranhalle (Feierwerk) der langgehegte Wunsch in Erfüllung gehen, eine meiner „Herzschlagbands" endlich auch mal live zu sehen: Amplifier, kennen- und höchst schätzen gelernt durch das selbstbetitelte Debutalbum. Die Erwartungen nicht höher gesteckt, als dass es ein schöner, unterhaltsamer Konzertabend mit guten Freunden werden sollte, lässt sich zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass es am Ende „The show of the year" geworden ist.

Die ganze Welt scheint entspannt und gut aufgelegt zu sein. Konzertbesucher, das Feierwerk-Team, die beiden Jungs vom Amp-Merch-Stand, die freundlich jede Frage beantworten und hilfsbereit den Inhalt sämtlicher Bekleidungskisten umdrehen, immer auf der Suche nach der richtigen Größe und der richtigen Ware. Und natürlich die Musiker, die selbst nach mehr als zweistündigem Konzert, zwar kräftig durchgeschwitzt, aber locker und relaxt am Merchandising-Stand stehen und sich für ihre Fans alle Zeit der Welt nehmen, mit ihnen lachen, schwatzen, scherzen, unermüdlich zig Poster (und Setlisten, yeah!) mit persönlichen Widmungen („Mine!") signieren, fotografieren lassen und Späßchen machen. Nach einem derart gelungenen (aber auch konditionell anspruchsvollen und schweißtreibenden) Abend schwebt man, äh, Frau, spätnachts auf Wolke 257 nach Hause oder alternativ hält man’s mit dem Untertitel von Leslie Nielsens „Dracula"-Parodie: „Tot, aber glücklich..."

Doch zunächst drehen wir die Uhr nochmal mindestens vier Stunden zurück. Die Ghost Rockets aus Schweinfurt spielen sich als Vorband den Allerwertesten ab und ernten dafür verdienten Beifall. Denn was vom Vorraum aus wie breitwandiger Gitarrenbrei klingt, den das Schlagzeug auf Stufe fünf in den Soundmixer drückt, entpuppt sich in der Kraanhalle als energiegeladener kreativer Alternative und Stoner Rock mit dichtgewebtem Saitenteppich, treibenden Beats und vor allem einem Sänger, der nicht nur durch seine kraftvolle Stimme, sondern auch durch extremen körperlichen Einsatz bis zur Beinahe-Erschöpfung beeindruckt.

In der kurzen Umbaupause genehmigen sich auch „wir" Fangirls gerne noch einen Drink in der lauen Abendluft, bevor es wieder aufgeht ins musikalische, wie räumliche, Hitzegefecht. Die Kranhalle ist recht gut gefüllt, direkt vor Basser Neil Mahony ist aber noch Platz für "uns", zwei Fans mit Kamera und I-Phone. Übrigens ein absoluter Volltreffer, Glücksfall und der unterhaltsamste Platz des Abends. I’ll never forget this great evening!

Drei riesige Batterien von Effektgeräten lassen erahnen welche brachialen Soundgewitter das Trio an den dicken und dünnen Saiten in Kürze über die Fans hereinbrechen lassen wird. Wie schon auf dem „Octopus"-Album sind es auch live liebenswerte Gimmicks, die die Amp-Guys noch sympathischer machen. Ein kleiner Plüsch-Octopus bewacht als Glücksbringer das Mischpult, Bühne und Equipment sind übersät mit seinem Logo, die Musiker in stilvolles Einheitsschwarz gekleidet, dessen einziger Farbtupfer der weiße Octopus auf den vier Krawatten ist.

Der Beatles-Hit „Octopus‘s Garden" zaubert als originelles Intro und gleichzeitige Hommage an die „Fab 4" aus der Manchester-Nachbarstadt Liverpool, unterlegt mit Echolot und Störgeräuschen wie bei Petersens „Das Boot", ein leicht unbehagliches Schaudern, überwiegend jedoch amüsiertes Grinsen in die Gesichter des Publikums. Doch schon ertönt in der Dunkelheit leise die buddhistische Klangschale und das angedeutete „Om", vier Schatten entern die Bühne und mit „The Wave" starten die Briten ihr zweistündiges Feuerwerk, spacig, abgehoben, über weite Strecken schlicht und einfach nicht von dieser Welt.

Neil Mahony ist mit vollem Körpereinsatz bei der Sache, tänzelt eine ausgeklügelte hyperaktive Choreographie, die einer Rockballerina würdig wäre, tippt mal eben so scheinbar nebenbei alle paar Sekunden auf die richtige Stelle in der unüberschaubaren Menge seiner Wunderschalter in der Zauberkiste, zupft und schrubbt seinen Bass abwechselnd wie eine Gitarre oder mimt die sprichwörtliche Salzsäule, bei der maximal die Finger eine minimale Bewegung erkennen lassen. Der zierliche Matt Brobin absolviert in der „Schießbude" wieder einmal den „Job seines Lebens", spult sein Programm mit der Präzision eines Uhrwerks ab, dirigiert gelegentlich vergnügt die Fans mit den Drumsticks und wenn Sel Balamir anerkennend äußert „I think we have one of the best drummers in this fuckin‘ world!", ist dem nichts mehr hinzuzufügen.

Sel Balamir, der charismatische Amp-Mastermind muss sich nicht groß in Szene setzen. Allein die Präsentation seiner Musik spricht Bände, katapultiert das Publikum ein ums andere Mal in ein anderes Universum, Parallelwelten scheinen sich aufzutun, auch in der Optik, bedingt durch die rauschende Farbenpracht der Lightshow und mächtige anhaltende Stroboskopblitze, die zeitweise zu scheinbarer Orientierungs- und Schwerelosigkeit führen. Steve Durose von Oceansize ist nicht nur ein guter Freund der Band, sondern auch die perfekte Ergänzung an Gitarre und Gesang. Gemeinsam bauen die beiden Gitarrenwände auf, die von vorne, oben, unten, einfach rundherum drücken, schieben, ziehen, emporheben, sanft streicheln wie eine Feder und schlagartig wieder fallen lassen in die Tiefen doomiger Bässe, unverzüglich wieder hochgeschleudert vom Druck der Schlagzeugwellen.

Die Gitarrenriffs des „Interglacial Spell" pressen sich wuchtig in den Saal, Sels sanfte Stimme scheint darüber zu schweben, ebenso über dem Titelsong „Octopus", der dominiert vom leisen Klingeln der Hi-Hat und grummeligem Höhlen-Bass eines der Highlights des achtarmigen Märchens ist. Hammer des ersten Sets sind jedoch jene unglaublichen zehn Minuten von „Interstellar" (Sel dedicated it to Mickey Mouse), in denen nicht nur Matt B. mit dem scheinbar verqueren Rhythmus alle Register seines Könnens zieht. Mit der Aufforderung „It’s time for some Heavy Metal!" reißt Neil beide Hände hoch und formt die wohlbekannte „Pommesgabel". Hunderte von Händen recken sich in die Luft, tun es ihm gleich und lassen die Haare im Rhythmus von „Fall oft he Empire" kreisen. Mit dem vergleichsweise ruhigen, aber vertrackten, spacig-pychedelischen „Trading Dark Matter" endet das erste Set.

Das zweite, und zugleich Zugaben-Set, beginnt mit „Continuum", steigert sich mit dem doomig anmutenden Hardrocker „Motorhead" und dem ruhigen Achtminüter „UFOs" in sphärische Höhen. Totales Abheben ist mit dem letzten Song angesagt: „Airborne",ganz offensichtlich nicht nur mein persönlicher Favorit. Verhaltenes Gitarrenspiel, leise jaulende Effekte, nach vorne drückende Drums, eine sanfte Stimme, die erinnert: „It’s time to fly!!" Eine breite Soundwand baut sich auf, rhythmisch-unrhythmisch, gleichmäßig-ungleichmäßig, langsam aber sicher mit jedem Takt steigernd und verdichtend, bis sich diese Wand ab Minute sechs urgewaltig in einem wahnsinns-brachialen Gewitter Bahn bricht. Gitarren, Bass und Drums überbieten sich gegenseitig im Erzeugen von Blitz und Donner, kollektiver Bewegungsdrang von Musikern und Fans wirft Schattenwellen in das gleißend weiße Licht der Stroboskopblitze und eine superdreckige Stoner-Leadgitarre wie sie auch Soundgarden und Colour Haze nicht besser hinbekommen, läßt ihre Hookline laut krachend über den Köpfen der Fans zusammenschlagen wie eine Tsunamiwelle. Was will man SO einem herrlich durchgeknallten Finale noch hinzufügen....

Thank you Neil, Matt and Steve for so much fun (especially to Neil, you know why), a great show and fantastic music - and Sel of course, you’re always the best!

Line Up Amplifier:
Sel Balamir – Guitar, Vocals
Neil Mahony – Bass, Backing Vocals
Matt Brobin – Drums, Percussion
Steve Durose (Oceansize) – Guitar, Backing Vocals

Setlist Amplifier:
The Wave
Interglacial Spell
Planet Of Insects
The Octopus
Interstellar
The Emperor
Fall Of The Empire
Trading Dark Matter
Continuum
Motorhead
UFOs
Airborne

Externe Links:

Amplifier
The Octopus
Amplifier @ Bandcamp
The Ghost Rockets
Feierwerk München