Burg-Herzberg- und FreakWEEKnoEnd-Festvial - Sommer 2006
10 000 Hippies bei UFO, Wishbone Ash und Kraan
Jedes Jahr machen sich Ende Juli und Ende August Heerscharen von Pilgern auf den Weg um zwei exquisite Hippie-Festivals in Süddeutschland zu besuchen und für ein paar Tage das Flair von „Love & Peace" in Gemeinschaft wieder aufleben zu lassen. In den Zeltstädten hilft jeder jedem, werden gemeinsam Parties gefeiert oder einfach nur beisammen gehockt und geratscht. Auf der Festivalwiese geht es hoch her mit Musik, Tanz und den allgegenwärtigen Ständen mit exotischem KrimsKrams wie Kleidung, Musikinstrumenten und Schmuck oder ausgefallenem indianischem, vietnamesischem oder einfach vegetarischem Essen und Hausmannskost. Ein umfassendes und gut organisiertes Kinder- und Betreuungsprogramm erfasst ganz gezielt auch die Bedürfnisse von Familien mit Kindern, die vom Klanggarten über Kinderschminken, Mitmachtheater, kleine Wettbewerbe bis hin zum mit Menschkraft betriebenen Karussell eine riesige Palette an kreativen Betätigungsmöglichkeiten finden, während die Eltern nebenan auf der Festivalwiese entspannt und genussvoll der Musik lauschen.
War das Burg Herzberg-Festival in den frühen 90-er-Jahren noch ein Insider-Fest, das direkt im Innenhof der Burg stattfindet, hat es sich in den vergangenen Jahren zu Europas größtem und wichtigstem Hippie-Event entwickelt und musste auf einige riesige Wiesen zu Füssen der Burg ausweichen um die nahezu 10 000 Festivalbesucher samt Zubehör unterbringen zu können. Sogar bis aus Litauen kommen die Freaks nach Baden Württemberg. So mancher verbringt dort seinen zweiwöchigen Jahresurlaub und schleppt im Wohnmobil nicht nur Kind und Kegel, sondern auch mobile Feldküche und die altgediente Cord-Wohnzimmer-Garnitur zum Sitzen unter freiem Himmel an.
In entspannter, gelassener, friedlicher und erwartungsvoller Atmosphäre hilft und besucht man sich gegenseitig. Eile, Stress und Hetze sind Fremdwörter auf diesem Planeten. Nicht einmal mein selbst auferlegter Berichterstatter-Marathon über Bands, die täglich von 11-3 Uhr auf zwei Bühnen nonstop spielen hinterlässt in mir das Gefühl von Stress, sondern einfach nur angenehmes Wohlbefinden und Zufriedenheit über all die gesehenen, gehörten und gefühlten Eindrücke und Begegnungen mit sympathischen, warmherzigen und interessanten Menschen und schillernden Typen des Genres. Musikalisch bietet die Palette beo knapp 30 Bands alles von jung bis alt, modern und bewährt, schräg bis heavy, Jazz bis Rock..
Alte Krautrock-Veteranen wie Hoelderlin, die sich nach mehr als 20-jähriger 2005 wieder neu formierten und heute mit Sängerin Ann-Yi Eötvös an vergangene Tage anknüpfen wollen, was ihnen nur teilweise gelingt. Technisch gesehen ist das immer noch alles sehr hochwertige Musik, aber Ann-Yis Stimme gelingt es nicht wirklich das Flair der alten Songs rüberzubringen. Warum das nicht wie früher einer der Herren der Schöpfung übernimmt bleibt ein Rätsel. Allerdings zeigt der neue Song „You" sehr wohl, dass sie es draufhat wenn das drumherum gut auf die Dame zugeschnitten ist. Die beeindruckende Performance von Peter Burschs Bröselmaschine, die zuvor den Festivaltag eröffnet hatte, reichten die Wuppertaler jedoch nicht ganz heran.
Peter Bursch, ebenfalls ein Krautrock-Dinsosaurier und in der Musikbranche seit rund 40 Jahren ständig in der Szene aktiv, hatte anlässlich eines Krautockpalastes des WDR seine alte Band Bröselmaschine reaktiviert – mit Helge Schneider am Keyboard, genau wie damals. Das macht dem Oktett so verdammt viel Spaß, dass sie damit weitermachen. Mit Anja Lerch hat Bröselmaschine eine Frontfrau mit einer fantastischen klaren und kräftigen Stimme am Start, Perkussionist Nippi Noya und Drummer Manni Bohr liefern sich heisse Duelle und mittendrin ein bestens gelaunter Peter Bursch, der locker die Zügel in der Hand/Gitarre/Sitar hältn und man fragt sich erstaunt: ‚Wird dieser Mann denn nie alt?’ Helge Schneider ist aus Zeitgründen diesmal leider nicht dabei. Als Opener des Tages mit Funk, Soul und jeder Menge groovigem (Kraut)Rock waren Bröselmaschine absolut erste Wahl.
Kraan vervollständigten das Trio der Krautrockgiganten. Zwar hatten sie sich als eine der wenigen Bands aus damaliger Ära nicht gänzlich aufgelöst, aber immer wieder künstlerische Schaffenspausen eingelegt. In der aktuellen Besetzung sind mit Hellmut Hattler, Jan Fride und Peter Wohlbrandt drei Gründungsmitlgieder vertreten und überzeugen ihre langjährigen Anhänger einmal mehr von ihrer Qualität.
Adrian Belew dürfte den meisten eher als Gitarrist der legendären britischen Prog Rocker King Crimson bekannt sein. Dabei hat er in den vergangen Jahren mit seiner eigenwilligen Stilmischung aus Jazz-, Prog Rock und Fusion eine bemerkenswerte Solokarriere aufs Parkett gelegt. Nicht so überzeugend war der Auftritt der Jazzrocker Soft Machine, die schon bessere und kreativere Tage gesehen hatten und auch das Trio des Psychedelic Monsterjam mit Guru Guru-Urgestein Manni Neumeier zeigte sich trotz einer sehr soliden Darbietung alter Guru Guru-Sachen wie „Electric Junk" oder „See You At The Dalai Lahma" nicht hundertprozentig zufrieden.
Auch der Samstag hatte in punkto Rock-Klassiker mit einigen schweren Geschützen aufzuwarten. Zunächst war da einmal Uli Jon Roth der seiner selbst entwickelten Sky Guitar wieder einmal Sound vom feinsten entlocken wollte. Leider spielte die Technik nicht ganz so mit wie sie sollte, so dass der Hero und seine Sky Band zeitweise leicht nervös agierten und das Zusammenspiel nicht immer auf den Punkt genau passte. Dennoch war der Auftritt des Ex-Scorpion-Gitarristen eine sehr feine Sache für die Fans. Einen tollen Nebeneffekt hatte UJR auch noch für uns: Nachdem das Thermometer mittags gut 40 Grad im Schatten anzeigt hatte, schien es als würden die Classic Rocker eigens für ihre Fans Wolken und etwas Abkühlung herbeispielen.
Damit war der ideale Boden für Wishbone Ash bereitet, die ebenfalls schon weit über 30 Jahre im Geschäft sind und allgemein als Erfinder des "dual lead-guitar sounds" gelten, da sie sich angeblich damals für keinen Leadgitarristen entscheiden konnten und beide gleichberechtigt waren. Gott sei Dank! Sind doch die Fans dadurch in den unerhörten Genuss von so genialen Song wie „The Warrior" oder „Blowing Free" gekommen. Eine wundervolle Stunde Nostalgie und Gegenwart mit Andy Powell und Co, die sich trotz ebenfalls kleiner technischer Probleme ganz locker und gelassen geben und viel Spass und Spielfreude versprühen.
Mit Einbruch der Dunkelheit kam ein kurzer erfrischender Regenschauer – und UFO. Die Truppe um Phil Mogg, Vinnie Moore und Pete Way ist noch immer ganz oben und glänzte mit einer fantastischen Show. Sie überzeugten mit einem kompletten Set moderner Heavyrock-Songs wie „Lights Out" und ausgezeichneter Spieltechnik. Doch so mancher hatte sich wohl eher die hippie-festival-tauglichere Mucke der ersten beiden UFO-Alben mit Longtracks wie „Prinz Kajaku" gewünscht auf denen sie noch weitaus psychedelischer veranlagt waren. Reminiszenz an diese Ära war immerhin „Doctor Doctor". UFO vertrieben mit ihrer Performance wieder die Regenwolken und ebneten den Weg für eine der schillerndsten und betörendsten Frauen der aktuellen Progressive Doom Rock-Szene – Anneke van Giersbergen, Frontfrau von The Gathering. Zwei ganze Stunden voller Bezauberung, Licht und betörendem Charme. Wo immer man sich auf dem Gelände auch befand, der Faszination dieser gänsehauterzeugenden Musik konnte sich keiner entziehen. Im herannahenden Morgengrauen komplettierten die kurz vor dem internationalen Durchbruch stehenden finnischen Psychedelic Spacerocker Hidria Spacefolk und die nimmermüden Feuerjongleure als beeidruckende Kulisse die überirdischen Erfahrungen einer verzauberten Nacht.
Das FreakWEEKnoEnd-Festival im oberpfälzischen Oberviechtach nahe der tschechischen Grenze ist quasi das Pendant zum Herzberg - die kleine Schwester. Knapp zehn Prozent der Herzberg-Besucherzahlen finden hier Platz. So wirkt das Festival eher wie eine riesige Gartenparty mit Familienanschluss. Über drei Lichtungen verteilt sich Zeltstadt und „Arena", verbunden durch einen verwunschenen Waldweg, auf dem ein kreativer Künstler nachts fluoreszierende Spinnenetze wob und Bäume und Gräser beleuchtete. Man hilft sich auch hier immer und überall mit Musik, Frühstück, Bier, Grill und Gaskocher und am Ende des Festivals mit Fremdstarthilfe, als es die wegen zuviel Musikhören tagsüber im Camp geleerte Autobatterie nicht mehr macht.
15 Bands waren angetreten um den Freaks täglich von etwa 14-4 Uhr ein abwechslungsreiches und kreatives langes Wochenende zu bereiten. Darunter seit Jahren bundesweit bekannte, erfolgreiche und fabelhafte Psychedelic Bands wie die von Electron, Rock und Trance beeinflussten Zone Six aus Berlin, die wieder einmal eine beeindruckende Performance in ihre Jam-Session brachten, und Electric Orange aus Aachen, die wie derzeit keine andere junge Band den damals revolutionären Geist des Krautrock verkörpert.
In den Startlöchern standen Nachwuchs-Krautrocker wie Treacle People, die nahtlos an das Feeling der 70-er Jahre anknüpfen und die norwegischen Progressive Rocker Seid, die sich gerade anschicken die Bundesrepublik zu erobern. Dazwischen gab es alles mögliche an qualitativ hochwertiger Musik von Didgeridoo-Jazz-Soul, Garagenrock, Folk, über Ska und Reggae bis hin zum Liedermacher und Alternative Rock. Vom Didgeridoo über Plastik-Abflussrohre und Laptop (!) bis hin zu selbst konstruierten Gitarreneffekten schöpften die Künstler ein breites Spektrum an „Musikinstrumenten" aus. Offensichtliches Fazit: Die „zweite Reihe" der Musiker findet in diesem Festival eine hervorragende Präsentationsplattform vor fachkundigem Publikum und drängt zum Teil bereits sehr stark nach vorne in die erste Reihe der international bekannten Genrebands.
Auch hier bot sich wieder das bunte „Drumherum" aus Kinder- und Rahmenprogramm, Ständen mit allem wichtigen was der Festivalbesucher braucht – oder auch nicht.
Ein Chati-Zelt in dem es den leckeren Gewürztee mit Sojamilch gab, ein riesiges Gemeinschaftslagerfeuer nebst Marterpfahl, hervorragende Verpflegung und eine Menge freundlicher Helfer, die das Wochenende zu einem richtig gemütlichen Fest mit nahezu reibungslosem Ablauf machten. Ebenfalls erwähnenswert ist die Jongleur-Show bei Einbruch der Dunkelheit. Mit Fackeln, Feuerschlucken und spektakulärem Messerwerfen und lockeren Sprüchen hatte das Pärchen stets die Lacher auf seiner Seite und erntete viel Beifall.
So bleibt abschließend zu den beiden schönsten Hippie-Festivals Süddeutschlands zu sagen: „Schee wars und schad iss, das gar iss." Die Realität hat mich wieder eingeholt, aber eins ist sicher: Nächstes Jahr kommen wir wieder – mit Kind und Kegel.